Kooperatives Lernen im Repetitorium
Veröffentlicht von sabine am
Kooperatives Lernen im Repetitorium
Einführung
Ein Repetitorium (lateinisch: repetere – „wiederholen“) im klassischen Sinne ist im Hochschulkontext eine Veranstaltung, in der Lernstoff für eine Prüfung wiederholt wird.
Repetitorien werden in den Ingenieurwissenschaften meist in den schwierigen Grundlagenfächern angeboten, z.B. Mathematik oder Mechanik. Zielgruppe sind Studierende, die schon ein oder mehrere Prüfungsversuche hinter sich haben.
Einsatzszenario
In Repetitorien geht es um die Vermittlung von Fachwissen und das praktische Üben – zum Beispiel anhand von Probeklausuren. Überdies ist gerade in den Anfangssemestern ein wesentliches Ziel, den Studierenden Lernstrategien und effiziente Methoden mit auf den Weg zu geben und erproben zu lassen, um im weiteren Verlauf des Studiums Verantwortung für den eigenen Lern- und Entwicklungsprozess zu übernehmen.
Das folgende Praxisbeispiel beschreibt Erfahrungen rund um ein rein online durchgeführtes Mechanik-Repetitorium an der TUHH. Ziel ist es, neben fachlichen Kompetenzen auch das kontinuierliche Lernen, Selbstorganisation, Reflexion des eigenen Lernprozesses und soziale Eingebundenheit zu fördern. Diese sind für den erfolgreichen Studienverlauf wesentlich. Damit geht das beschriebene Repetitorium der TUHH weit über ein klassisches Angebot hinaus.
Aus der Praxis
Interview mit Dr.-Ing. Johanna Peters, Institut für Mechanik und Meerestechnik (TUHH). Zusammen mit Dr. Leo Dostal (Institut für Mechanik und Meerestechnik) und Dipl.-Psych. Birgit Carstensen (Zentrale Studienberatung) entwickelte sie ein reines Online-Konzept für das Mechanik-1-Repetitorium.
Modul: Mechanik I (1. Semester)
Studiengänge: Allgemeine Ingenieurwissenschaften, Maschinenbau, Mechatronik, Bauingenieurswesen, Schiffbau, Logistik und Mobilität
Anzahl der Teilnehmenden: 200
Was war Ihre Motivation, das Repetitorium weiterzuentwickeln?
„In unseren bisherigen Repetitorien hatten wir beobachtet, dass die Teilnehmenden durch einen bereits gescheiterten Prüfungsversuch recht unmotiviert bis hin zu frustiert in unsere Veranstaltung kamen. Auch nahm ein Großteil der Teilnehmenden – aus unterschiedlichen Gründen – nicht das ganze Semester über an der Veranstaltung teil. Erschwerend kam hinzu, dass das Repetitorium pandemiebedingt als reine Online-Veranstaltung stattfinden musste.
Unser Kerngedanke war, den Fokus auf den persönlichen Kontakt zu legen und die Studierenden als Individuen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Bedürfnissen wahrzunehmen. Kern des Repetitoriums war eine Gruppenübung, die in Kleingruppen von nur sechs Studierenden und einem Tutor bzw. einer Tutorin (in Zoom) durchgeführt wurde.”
Wie lief die Gruppenübung im Repetitorium ab?
„Die Gruppenübung bauten wir jede Woche gleich auf. Zunächst besprachen wir die Gruppenaufgabe, die von einer Woche zur nächsten zu erledigen war und meist einen Alltagsbezug hatte. Zur Einführung in das neue Thema und zur Wiederholung von Grundlagen bearbeiteten die Studierenden dann eine Quiz-Aufgabe (in einer Art Think-Pair-Share-Format).
Für die anschließende Bearbeitung von Übungsaufgaben teilten wir die Studierenden in zwei 3-er Teams in Breakout-Sessions ein. Jedem 3-er Team Team wurde ein Online-Whiteboard bereitgestellt, das die Aufgaben und Ausschnitte aus der Lernlandkarte enthielt.


Unser Ziel war es, dass die Studierenden bei der Bearbeitung der Aufgaben von Anfang an kommunizieren und interagieren. Daher haben wir eine Art “Rollenspiel”, die BJF-Methode, entwickelt. Wir baten die Studierenden, jeweils eine der vorgegebenen Rollen anzunehmen: Bearbeiter*in, Joker und Feedbacker*in. Die Rolle Bearbeiter*in liest die Aufgabe vor und beschreibt die Zeichnung. In einem späteren Bearbeitungsschritt schildert sie ihr geplantes Vorgehen und führt den ersten Teilschritt der Aufgabe durch.
Wenn der Bearbeiter bzw. die Bearbeiterin Fragen hat, kann er/sie den Joker zu Rate ziehen, der möglichst nicht gleich die Lösung vorgibt, sondern nach dem “Prinzip der minimalen Hilfe” strategische Tipps liefert. Ist die Bearbeiterin aus ihrer Sicht mit dem Teilschritt fertig, darf der Joker noch Fragen stellen oder Anmerkungen machen.
Zum Schluss des ersten Bearbeitungsschrittes schildert die Rolle Feedbacker*in, wie sie den Prozess wahrgenommen hat und was ihr aufgefallen ist. Inhaltlich nimmt sie dabei keine Stellung! Nach jedem Teilschritt werden die Rollen getauscht.
Die Rolle des Bearbeiters war bei vielen zunächst unbeliebt. Denn man stößt ziemlich schnell an seine Grenzen. Wir konnten jedoch beobachten, dass durch das gemeinsame Lösen der Aufgabe und insbesondere das “Sicherheitsnetz” durch den Joker das Vertrauen in die Gruppe, aber auch in sich selbst in hohem Maße gestärkt wurde. Natürlich ist es auch vorgekommen, dass der Bearbeitungsprozess in der 3-er-Gruppe ins Stocken geraten ist. An dieser Stelle haben die Tutor*innen mit Hilfe unterschiedlicher Anstöße unterstützt.
Welche Rolle spielt dabei das Online-Whiteboard?
„Das Online-Whiteboard dient zum Einen der Bereitstellung von Ressourcen und Aufgaben. So steht eine nachhaltige Dokumentation der Lerninhalte zur Verfügung. Überdies laufen sämtliche Berechnungen und Arbeitsschritte der Studierenden in dem Whiteboard ab: Es gibt nun ein gemeinsames Dokument, in dem alle Studierenden einer 3-er-Gruppe arbeiten. Wir hatten den Eindruck, dass die nicht-permanente Arbeitsfläche die Studierenden dazu einlud, recht hemmungslos Ideen und Teilschritte hinzu”kritzeln”, da sie sämtliche Inhalte auch schnell wieder löschen können. Wir können uns daher gut vorstellen, das Online-Whiteboard auch in Präsenzsettings in der Hochschule einzusetzen.”
Wie war das Feedback der Studierenden?
“Ein Großteil der Studierenden berichtete uns, dass sie das Rollenkonzept mittels der BJF-Methode sehr hilfreich fanden. Durch den häufigen Rollentausch würde die Aufmerksamkeit erhöht und das kleinschrittige Bearbeiten eingeübt. Auch wenn es zunächst befremdlich gewirkt habe, alles, was man tut, zu kommentieren, wurde dieses Vorgehen im Nachhinein als große Hilfe erachtet.
Die Studierenden halten es für gut möglich, dieses Rollenkonzept auch in folgenden Gruppenübungen einzusetzen. Auch der gemeinsame Austausch im Online-Whiteboard und das Repetitorium hat ihnen Spaß gemacht.”
Wie schätzen Sie als Lehrende den Erfolg der Gruppenübung ein?
„Natürlich ist eines unser Hauptanliegen, dass die Studierenden die Prüfung bestehen. Hier haben wir einen großen Erfolg erzielt. Gefreut hat mich aber, dass viele Studierenden nicht nur “durchgekommen” sind, sondern die dahinter liegenden Prinzipien der Mechanik auch wirklich verstanden haben. Ihnen ist nun sehr viel stärker bewusst, dass “Lernen lernen” eine wichtige Aufgabe in den ersten Semestern ist. Wir konnten durch das Engagement in den Gruppen außerdem beobachten, dass die Studierenden im Laufe des Repetitoriums an Selbstvertrauen gewinnen konnten. Unsere Erfahrungen aus dem Online-Semester werden wir nun in die kommenden Semester übertragen.”
Headerbild: Andrew Seaman on Unsplash