Sie fliegen! Erfolgreicher Abschluss des interdisziplinären Bachelorprojekts und didaktischer Pionierarbeit

– Ein Interview
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Das Wintersemester 2012/13 war die Pilotphase des vom ZLL mit zahlreicher weiterer Unterstützung getragenen interdisziplinären Bachelorprojekts an der TUHH. Wir sprechen mit den Organisatorinnen und Betreuerinnen, Uta Riedel und Siska Simon.

 

Interview IBAPZLL: Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Abschluss des Projekts. Wie lautet Ihr Resümee in einem Satz?

Uta Riedel: Danke für die Glückwünsche. Es war ein unglaublich spannendes Projekt, das alle Beteiligten als sehr bereichernd empfanden – schade, dass es zu Ende ist.

Siska Simon: Es muss weitergehen! Die Idee eines interdisziplinären Projekts zu Beginn des Studiums ist gut. Ok… das waren jetzt zwei Sätze…

ZLL: Das Projekt richtet sich an Studienanfänger_innen. Warum setzen Sie gerade dort an und nicht bspw. im zweiten oder dritten Semester? Die Aufgabe ist ja recht anspruchsvoll: Können Erstsemester das denn überhaupt?

Uta Riedel: Das Projekt soll ein Einstieg in die TUHH sein. Die Studierenden sollen erleben, wie vielfältig die Möglichkeiten der TUHH in Instituten und Werkstätten sind, Projekte zu bearbeiten und Aufgaben zu lösen. Mit dem Projekt sprechen wir verschiedene Studierende an – sowohl diejenigen, die die Herausforderung in theoretischen Knobeleien suchen, wie auch die Bastler, die lieber an praktischen Problemen tüfteln. Alle können sich mit ihren Fähigkeiten im Team einbringen. Das zu Beginn des Studiums zu erfahren, halte ich für besonders wichtig. Dem einen oder anderen hilft es hoffentlich über eine ‘Durststrecke’ im späteren Studium hinweg. Und wenn sich für einige im späteren Verlauf des Studiums Bezüge zwischen theoretischem Stoff und praktischen fachlichen Erfahrungen aus diesem Projekt ergeben, ist auch viel gewonnen. Anspruchsvoll war die Aufgabe auf jeden Fall, aber für schwierigere fachliche Fragen gab es eben auch ein kompetentes Expertenteam.

Abschlussveranstaltung_BA_Projekt 059Siska Simon: Ja, sie können das! Niemand fängt ja bei Null an. Die Studierenden konnten auf vielfältiges Vorwissen zurückgreifen. Durch die komplexe Aufgabe haben wir erreicht, dass die Studierenden sich herausgefordert fühlen und die Zusammenarbeit untereinander und mit den Instituten suchen mussten, um die Aufgabe zu lösen.

ZLL: Die Teilnehmer_innen mussten sich bewerben. Was war ihre Motivation sich neben ihren übrigen Pflichtlehrveranstaltungen und zudem noch in der zeitintensiven Orientierungsphase an der Universität an einem solch bisher ja freiwilligen Projekt zu beteiligen?

Uta Riedel: Die Studierenden gaben verschiedene Gründe in ihren Bewerbungen an. Zum Teil hatten sie Interessen und Erfahrungen auf dem Gebiet des Modellbaus, zu Teil wollten sie einmal im Team eine größere Aufgabe bewältigen oder einfach zu Beginn des Studiums neue Leute kennenlernen. Nahezu unglaublich finde ich es, dass von ursprünglich 26 Bewerbern 24 Studierende bis zum Abschluss aktiv im Projekt dabeigeblieben sind, und das trotz der erheblichen Arbeitslast im ersten Semester.

Siska Simon: Es sind alles Studierende mit einem hohem Maß an Freude an ihrem Fachgebiet. Viele arbeiten auch in der Freizeit in Vereinen aktiv mit. Sie finden es einfach erfüllend, sich Herausforderungen zu stellen. Außerdem reizt viele die Idee, von A bis Z ein Projekt zu verwirklichen.

ZLL: Wenn Sie den entscheidenden Mehrwert und die Lernziele in fachlicher und außerfachlicher Hinsicht für die Studierenden benennen sollten, was wären die entscheidenden Punkte für Sie?

Uta Riedel: In Stichworten: Arbeitsteilung im Team, Projektplanung, Durchhaltevermögen.

Siska Simon: Lernen als Team zu einem Ziel zu gelangen. Ein Verständnis zu entwickeln, wie wichtig es ist, dass alle Ingenieure unterschiedlich sind und das auch produktiv zu nutzen. Spaß an der Arbeit zu haben und mit Frustration umzugehen. In das Studium zu starten und zu wissen, wo welche Fachleute sitzen, die man um Hilfe bitten kann. Einen Überblick zu haben, welche Fachrichtungen zu der Lösung eines Problems dazugehören und was die so können.

IMG_1241ZLL: Und dann natürlich die Universität: Welchen Gewinn sehen Sie in solch einem Projekt für die TUHH?

Uta Riedel: Das Projekt könnte zu einem tollen Aushängeschild für die TUHH werden. Und es bleibt ja auch etwas vom diesjährigen Projekt: die Studierenden wollen gar nicht aufhören, an dem Projekt zu arbeiten. Sehr wahrscheinlich werden einige von ihnen demnächst eine TU-AG gründen, um in diesem Rahmen weiterbasteln und -tüfteln zu können. Das Luftschiff könnte ein sehr guter Werbeträger für die TUHH bei einer Vielzahl von Veranstaltungen sein. Für den Luftfahrt-Standort Hamburg und für die Außendarstellung der TUHH könnte das eine sehr werbewirksame Initiative sein.

Siska Simon: Die Universität punktet mit so einem Projekt in jedem Fall, weil es einfach Sinn macht und man am Schluss als Team etwas geschafft hat. Die Aufgaben werden ja von den Lehrenden entwickelt, d.h. die Gefahr Studierende zu überfordern, sehe ich hier nicht größer, als bei jeder anderen Lehrveranstaltung.

ZLL: Wenn Sie zurückblicken, was waren die größten Herausforderungen des Projekts aus Ihrer Sicht?

Uta Riedel: Auf dem Weg von der Idee des Projekts bis zur Abschlussveranstaltung in der letzten Woche gab es eine Vielzahl von Herausforderungen – die Zusammenstellung des Expertenteams, das Finden einer interessanten Aufgabenstellung, die Werbung um die Studierenden (bis Mitte Oktober war ja noch nicht klar, ob das Projekt überhaupt Interessenten findet), die Terminfindung für Teamtreffen der Studierenden, die in sechs verschiedenen Studiengängen natürlich auch ganz verschiedene Stundenpläne haben, und noch einiges mehr. Aber ein Pilotprojekt ist eben dazu da, genau diese schwierigen Punkte zu identifizieren und sie beim nächsten Mal gezielter und langfristiger anzugehen.

Siska Simon: Für mich die Momente der Krisen, wo plötzlich wesentliche Personen im Projekt ausgefallen sind, der Rückhalt fehlte oder wichtiges Material nicht rechtzeitig da war. Außerdem das Gefühl, wir lenken mit dem freiwilligen Projekt die Studierenden zu sehr von ihrem eigentlichen Studium ab. Ich bin ja auch erst im „ersten Semester“, d.h. ich habe im September an der TU angefangen. Da habe ich manchmal meine Grenzen gemerkt.

ZLL: Und aus Sicht der Studierenden?

IMG_1233Uta Riedel: Ich vermute, dort spielte am ehesten der Termindruck eine Rolle, oder dass bestelltes Material später kam als erhofft. Das werden wir noch gezielt erfragen.

Siska Simon: Das fragen sie die Teilnehmenden am Besten direkt. Wir werden eine detaillierte Evaluation durchführen, auf deren Ergebnis wir schon gespannt sind. Eine Evaluation in der Mitte des Projekts war erstaunlich positiv. Erstaunlich, weil wir als Organisatorinnen noch viele Baustellen gefunden haben, die wir bei einer Wiederholung anders anpacken werden.

ZLL: Derzeit laufen an der TUHH Diskussionen um eine Modularisierung der Studienpläne. Wie sehen Sie in diesem Kontext und auch sonst die Chancen für eine feste Etablierung des Projekts?

Uta Riedel: Die Chancen für eine feste Etablierung kann ich nicht einschätzen. Wir haben zum Teil sehr gute Resonanz auf das Projekt von verschiedenen Professoren bekommen, aber solch ein Projekt in einen (modularisierten) Studiengang einzubinden, könnte Aspekte beinhalten, die ich nicht überblicken kann. Grundsätzlich fände ich es aber toll, das Projekt in verschiedene Studiengänge zu integrieren, da die Interdisziplinarität des Projektes, die studiengangsübergreifende Vernetzung der Studierenden, für mich ein sehr wichtiger Punkt ist. Es würde zum einen eine erhebliche Vereinfachung für die Terminfindung bedeuten, wenn zum Beispiel studiengangsübergreifend klar wäre – Dienstag vormittag ist Projekttag. Und vielleicht können Studierende durch diese frühe interdisziplinäre Arbeit auch später leichter über ihren Tellerrand hinausschauen. Eventuell erwachsen daraus auch Fragestellungen für gemeinsame interdisziplinäre Bachelor- oder Masterarbeiten – für mich eine interessante und schöne Vorstellung.

Letztlich bieten wir mit dem Projekt an, außerfachliche Kenntnisse zu vermitteln. Welchen Themen und Teilaufgaben die Studierenden sich fachlich zuwenden (und um die Erarbeitung fachlicher Kenntnisse kommen sie ja gar nicht herum), entscheiden sie letztlich selbst. Aber ob das ein Problem für die Aufnahme des Projektes in einen Studiengang sein muss…?

Siska Simon: Das Projektergebnis spricht für sich. Ich bin sicher, dass sich am Ende des Studiums alle an das Projekt erinnern IMG_1259und weit über das Projekt hinaus die Kontakte zu den Instituten und Kommilitonen nutzen werden. Daher ist es für mich ein wichtiger Aspekt mit allen kritischen Stimmen ins Gespräch zu kommen, um über die bestehenden Vorurteile gegenüber Projekten im ersten Studienjahr hinwegzukommen.

Projekte sind immer toll, ohne Frage. Für mich macht aber gerade im ersten Studienjahr diese Form ganz besonders viel Sinn, auch im Hinblick auf die Abbrecherquote. Ich könnte mir auch vorstellen, so ein Projekt alternativ anzubieten: Nur die Studierenden, die Lust zu diesem Interdisziplinären Bachelor-Projekt haben, können darüber ECTS erwerben; die anderen studieren „normal“. D.h. es gäbe Veranstaltungen parallel für alle Studierenden aber mit Bezug auf das aktuelle Projektthema bzw. die aktuellen Projektthemen. Alles eine Frage des Willens und der Unterstützung.

ZLL: Wieso sollte man das Projekt nicht einfach als freiwilliges Angebot erhalten?

Uta Riedel: Ja, warum nicht? Es gibt bestimmt Argumente dafür. Aber warum nicht das Engagement und den Zeitaufwand der Studierenden auch mit entsprechenden Punkten belohnen?

Siska Simon: Freiwilligkeit ist etwas Großartiges. Aber wir gehen mal davon aus, dass keiner gezwungen wurde z.B. Maschinenbau zu studieren. D.h. ich gehe auch davon aus, dass es ihnen Spaß macht, sich mit fachspezifischen Themen intensiv und ganzheitlich zu befassen. Was macht denn ein Ingenieur den ganzen Tag? Im interdisziplinären Team Projekte bearbeiten, ob in der Forschung oder in der Wirtschaft spielt doch überhaupt keine Rolle! Warum also nicht zu Beginn ausprobieren? Es spricht ja auch überhaupt nichts dagegen, generell über die feste Einplanung interdisziplinärer Projekte z.B. alle zwei Jahre nachzudenken. Zum Thema Profilbildung der Universitäten: Hier sehe ich für die TUHH eine riesige Chance!

ZLL: Und zum Abschluss: Was bleibt noch zu sagen?

Uta Riedel: Ich möchte mich gern noch bedanken bei der TUHH ganz allgemein, die ein solches Projekt möglich gemacht hat, und bei den vielen interessierten und engagierten Menschen, die oft an entscheidenden Stellen durch Anregungen und tatkräftige Unterstützung geholfen haben. Ich möchte gern noch erwähnen, dass auch die Organisation und Durchführung des Projektes eine echte interdisziplinäre Teamleistung war. Das Expertenteam hat sich nicht darauf beschränken lassen, bei Bedarf die Fragen der Studierenden zu beantworten, sondern hat sich in allen Phasen (von der Ideenfindung über die Vorbereitung und Durchführung des Projekts bis zur Organisation der Abschlussveranstaltung) engagiert eingebracht, jeder auch mit seiner individuellen Sicht auf das Projekt. Die Diversität des Teams war dabei ein großer Bonus – vielen, vielen Dank. Und ein herzliches Danke auch an das Team des ZLL. Ich glaube, ich habe es tatsächlich geschafft, jeden zu irgendeinem Zeitpunkt mit einzubeziehen – oder war irgendjemand gar nicht beteiligt? Nein!

ZLL: Vielen Dank für das Gespräch!

 

*Wir danken Frau El Jobeili für die Bereitstellung einiger Bilder.

Ein Gedanke zu „Sie fliegen! Erfolgreicher Abschluss des interdisziplinären Bachelorprojekts und didaktischer Pionierarbeit

  • 08/02/2013 um 15:48
    Permalink

    Super Projekt! Herzlichen Dank für die Chance, durch das Interview daran teilnehmen zu können. Ich stimme mit Siska Simon überein, dass Freiwilligkeit den Wettbewerbscharakter eher einschränken würde. Hier an meiner Uni konstruieren die Studenten in der Ingenieurswissenschaft Boote aus verschiedensten nicht traditionellen Materialien fuer eine Crum Regatta – das Boot, was den Parcours schafft ohne unterzugehen, gewinnt einen Preis. Hier der Link: http://www.swarthmore.edu/student-life/crum-regatta-x12272.xml
    Sunka

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